Die deutsche Bezeichnung
„Schleichen“ ist für diese interessante Tiergruppe nur teilweise zutreffend,
denn nicht alle Angehörigen „schleichen“ nach Schlangenart. Unsere Blindschleiche
schleicht gewissermaßen fußlos durch ihre Umwelt. Viele amerikanische Arten
laufen mit vier gut ausgebildeten Gliedmaßen. So ist das Fehlen der Füße kein
Bestimmungsmerkmal. Diese Familie hat sehr unterschiedlich ausgestattete
Vertreter. Es gibt fußlose, stummelbeinige und Tiere mit ausgebildeten Beinen.
Die Oberflächenstruktur des vorderen verschieden tief gegabelten
Zungenabschnittes ist anders als die des durch eine Querfalte abgesetzten
hinteren Teils. Der hintere Zungenteil ist elastisch, und so kann der vordere
Teil in ihn zum Teil zurückgezogen werden. Obwohl der Körperbau schlangenförmig
ist, sind die Bewegungen starrer. Außer bei unserer Blindschleiche findet man
bei anderen Schleichen eine dichte breite Zahnreihe, mit der die Beutetiere
zerkaut und zermalmt werden können. Gefressen werden je nach Größe der
Schleichenart verschiedene hartschalige Gliederfüßer mit ihrer riesigen
Artenfülle und auch Mäuse. In der Kreidezeit - vor etwa einhundertzwanzig
Millionen Jahren - sind die Schleichen entstanden, sie zählen zu den Eidechsen.
Es handelt sich hier um eine erdgeschichtlich junge Eidechsenart. Sie sind mit
den Waranen näherverwandt als mit den Schlangen. Die Augenlider sind beweglich,
der Schwanz kann abgeworfen werden; das ist eine gute Schutzvorrichtung gegen
Angreifer. Die Wunde blutet nur wenig und verheilt schnell. An der
Abtrennstelle wächst ein neues kleines und stummeliges Schwanzstück wieder
nach. Es gibt eierlegende und lebendgebärende Arten. Wegen des besseren
Schutzes der Nachkommenschaft hat es die Natur so eingerichtet, daß in
klimatisch weniger günstigen Gebieten, wie zum Beispiel im Hochgebirge und in
den nördlichen Breiten, vor allem lebendgebärende Schleichen vorkommen. Die
ältesten Arten haben vier Beine. Mit der Zeit sind Formen entstanden, die sich
durch die Zurückbildung ihrer Gliedmaßen mehr und mehr an ihre Lebensweise
angepaßt haben. Die Hinterbeine sind hier oft nur noch Anhängsel, und die
Vorderbeine sind ganz verschwunden. Die vierbeinigen Arten bleiben kleiner, sie
werden ungefähr 40 cm lang, während die fußlosen Arten eine Gesamtlänge von 100
cm erreichen können. Eine Ausnahme bildet der Scheltopusik; er ist der größte
dieser Familie und kann 130 bis 140 cm lang werden.
In Europa kennen
wir zwei Arten: die Blindschleiche und den Scheltopusik. Weitere Familien
(Unterfamilien) sind die Doppelzungenschleichen (Diploglossinae) aus Nord-,
Mittel-und Südamerika und die Krokodil- und Panzerschleichen (Gerrhonotinae),
die in Europa, Afrika und ebenfalls in Nord-- Mittel- und Südamerika vorkommen.
Unwissenheit und die schon
teilweise hysterische Angst vor Schlangen und allem, was da nach aussieht,
haben in den vergangenen Jahren - und
unbegreiflicherweise auch heute
noch viel dazu beigetragen, daß man
diese harmlosen und ausgesprochen nützlichen Tiere rücksichtslos dezimiert hat.
Aus Nordamerika kennen wir folgende drei Arten: Die Schlanke Glasschleiche
(Ophisaurus attenuatus). Sie bewohnt ein großes Gebiet auf beiden Seiten des
Mississippibeckens und die Halbinsel Florida. Die Küstenschleiche (Ophisaurus
compressus). Sie lebt im äußersten Südosten und auf Florida. Die Östliche
Glasschleiche (Ophisaurus ventralis). Sie kommt im feuchten Tiefland der
Golfküste und ebenfalls auf der Halbinsel Florida vor. Sie wird bis 100 cm lang
und ist die größte Echse der Vereinigten Staaten. Bei ihr ist beobachtet
worden, daß sie sich nach dem Eierlegen um ihr Nest herumlegt und die Eier
bewacht. Da die Körpertemperatur der Schleichen der Nesttemperatur sehr ähnlich
ist, gibt es kein echtes „Bebrüten der Eier“, nur eben eine Brutpflege. Diese
stellt jedoch bei Echsen eine Besonderheit dar und kommt nicht oft vor. Alle
drei Arten sind dämmmerungsaktiv und vergraben sich während des Tages gerne im
lockeren Boden. Ihr Schwanz bricht leicht ab, deshalb haben sie in ihrer Heimat
den Namen Glasschleichen. Ober die Pflege im Terrarium ist leider fast nichts
bekannt.
Fünf
Panzerschleichen kennen wir aus der Alten Welt, die aber etwas kleiner als ihre
europäischen Verwandten bleiben. Für eine Haltung im Terrarium ist auch hier
wenig bekannt. Wir möchten aber diese interessanten Echsen trotzdem kurz
erwähnen.
Die
Marokko-Schleiche (Ophisaurus koellikeri) hat eine olivbraune Grundfärbung mit
grünschillernden Pünktchen, sie lebt in den feuchten Wäldern des Atlasgebirges.
Ihre Hinterbeine sind bis auf Reste von 2,2 mm zurückgebildet.
Die
Burma-Schleiche (Ophisaurus gracilis) erreicht eine Gesamtlänge von 40 cm. Ihre
Heimat ist außer Burma Nordostindien, Südwestchina und Laos. Nach Osten hin
schließt der Bereich der Südchinesischen Schleiche (Ophisaurus harti) an. Bei
dieser Schleiche wurde eine ähnliche Brutpflege wie bei der Östlichen
Glasschleiche beobachtet. Die Borneo-Schleiche (Ophisaurus buettikoferi) und
die Sumatra-Schleiche (Ophisaurus wegneri) sind Inselformen dieser Gattung.
Hatten wir es
hier mit der Gattung Ophisaurus zu tun, so wollen wir uns nun kurz einer
weiteren Schleichengattung zuwenden; sie umfaßt Arten, die den klassischen
Schleichen weniger ähnlich sehen, aber höchst interessante Reptilien sind:
Die Krokodil-
oder Alligatorschleichen (Gattung Gerrhonotus). Das Verbreitungsgebiet der 15
Arten erstreckt sich vom südlichen Kanada bis Südamerika. Trotz des gefährlich
klingenden Namens, er wurde von den großen, harten, plattenartigen Schuppen
hergeleitet - sind die Tiere völlig harmlos. Sie besitzen normal ausgebildete
Echsenbeine. Unter ihnen gibt es sowohl eierlegende als auch lebendgebärende
Arten. Ihre Gesamtlänge liegt zwischen 20-40cm. Auch hier ist es wieder so
eingerichtet, daß lebendgebärende Formen vor allem in klimatisch ungünstigen
Gebieten leben. So ist zum Beispiel die Nördliche Alligatorschleiche
(Gerrhonotus coeruleus) lebendgebärend.
Sie kommt im
Gebirge bis in eine Höhe von dreitausend Metern vor. Die lebendgebärende Kiel-Krokodil-Schleiche
(Gerrhonotus imbricatus) ist gar auf dem Popocatepetl in viertausend Meter Höhe
zu finden. Die Baumschleichen der Gattung Abronia zählen zu der Gruppe wenig
erforschter Schleichen. Ein Greifschwanz, vier kurze Gliedmaßen und die für viele
Schleichen typische Seitenfalte ist vorhanden. Die Färbung ist äußerst
variabel, vom leuchtenden Grün bis hin zum schwarzgebänderten Kleid finden wir
viele Variationen. In feuchten Gebirgswäldern Südamerikas und dort in der
beträchtlichen Höhe von eintausend bis fast dreitausend Metern leben sie auf
den Bäumen. Auch sie zählen zu den lebendgebärenden Arten. Weitere Schleichen
sind die Doppelzungen- oder Gallwespenschleichen der Unterfamilie
Diploglossinae.
Im Terrarium
sollen sie sich gut halten lassen. Auch hier sind eierlegende und
lebendgebärende Arten vertreten. Weitere unserer Blindschleiche sehr
ähnlichsehende Schleichen sind die Schlangen Schleichen (Gattung Ophiodes) aus
Brasilien. Ihnen sind zwei lanzettförmige Hinterbeinstummel geblieben, die sie beim
schnellen Fortbewegen seitlich abspreizen können. Sie haben eine nächtliche
Lebensweise. Die Jungen kommen lebend zur Welt. Die Ringelschleichen (Familie
Anniellidae) erinnern sehr an kleine Schlangen. Sie sind beinlos, haben glatte
Schuppen, jedoch bewegliche Augenlider. Sie sind lebendgebärend.
D
Die
Blindschleiche (Anguis fragilis)
wird ca. 35-45 cm, seltener bis
50 cm groß. Der wissenschaftliche Name
Anguis fragilis deutet auf
„zerbrechliche Schleiche“ hin. Wer hat nicht schon einmal nach einem endlich
geglückten Fang plötzlich nur noch den Schwanz in der Hand gehabt, und die
Schleiche war im Wiesenboden verschwunden. Ihr Skelett ist darauf eingerichtet,
in der Mitte der Schwanzwirbel abzubrechen. So kann sie unter Verlust ihres
Schwanzes- das schadet dem Tier nicht, und der Schwanz wächst bald wieder nach,
wenn auch nur klein und stummelig - den Verfolgern entkommen. Die
Blindschleiche ist keineswegs blind, sie hat zwar kleine aber durchaus
sehtüchtige Augen von gelbroter Farbe. Sie zählt zu den Echsen und hat wie
diese bewegliche Augenlider. Äußerlich sind keine Gliedmaßen erkenntlich,
jedoch sind Rudimente an Schulter- und Beckenknochen vorhanden. Der Körper ist
mit glatten Schuppen bedeckt, die an Rücken- und Bauchmitte am größten sind.
Kopf und Schwanz sind nicht vom Rumpf abgesetzt. Ihr fehlen die in ihrer
Familie typischen breiten Zähne zum Zermalmen der Beute. Wegen ihrer spitzen
und zurückgebogenen Zähne besteht die Nahrung hauptsächlich aus Regenwürmern,
Insekten und vor allem aus Nacktschnecken. Diese Vorliebe für Nacktschnecken
hat sie zu einer unserer besten Nacktschneckenvertilgerinnen gemacht. Die
Blindschleiche ist voll geschützt.
Über ganz
Mittel- und große Teile Südeuropas erstreckt sich die Verbreitung. Im Norden
endet das Vorkommen in Finnland, im Osten grenzt Nord-Persien und die
Nord-Türkei ab, im Süden kommt sie bis Nordwest-Afrika vor. Sie bewohnt ein
recht unterschiedliches Gelände. So ist sie an Laubwald genauso zu Hause wie im
Nadelwald. Man findet sie in Schonungen, Waldschneisen, an Böschungen und
Wiesenrändern. Sie mag schattige Orte mit
einer gewissen geringen Bodenfeuchtigkeit, aber auch ein kurzes Sonnenbad. In
den unterholzreichen Wäldern des deutschen Mittelgebirges ist sie
weitverbreitet Ihre Aktivitätszeit ist in den frühen Vormittagsstunden und am
späten Nachmittag sowie in Dämmerung. Nach der Überwinterung – sie teilt ihr
Winterquartier mit zahlreichen anderen Artgenossen - erwacht sie im März oder
April, schon beginnt die Paarung. Nach einer Tragzeit von ungefähr 11 - 13
Wochen werden Junge geboren. Diese sind von einer galaartigen Masse eingehüllt,
welche bei der Geburt sofort durchstoßen wird. Die neugeborenen
Blindschleichenkinder sind sieben bis zehn Zentimeter lang und haben in dieser
Zeit besonders viele Feinde. Kröten, Vögel, Dachs und Marder haben kleine
Blindschleichen auf ihrem Speisezettel. Da sie lebendgebärend sind, brauchen
die Eier die sonst übliche intensive Sonnenbestrahlung (Bodenerwärmung) nicht,
und so können sie sich auch in rauhen Gegenden behaupten. Junge Blindschleichen
sind am Rücken hellgrau und haben einen schwarzen Bauch. Später dunkelt der
Rücken nach, und die Bauchseite wird heller. Erwachsene Blindschleichen gibt es
in den Farben Braun, Grau, manchmal Kupfer und seltener Schwärzlich. In
bestimmten Gegenden haben sie blaue Flecken oder Punkte. Die Tiere sind am
besten im Freilandterrarium aufgehoben und dort auch leicht zu pflegen. Sie
benötigen einen feuchten und einen trockenen Terrarienteil. Im Zimmerterrarium
brauchen sie in Anlehnung an ihre natürliche Lebensweise als Bodentiere
Moospolster, Gras und Waldbodenteile, Steinplatten, Wurzeln und ähnliches. Es
muß so eingerichtet werden, daß sie immer Unterschlupfmöglichkeiten vorfinden.
Eine flache Wasserschale ist auch notwendig. Der Stellplatz soll schattig sein
mit etwas Vormittagssonne. Im Sommer reicht normale Zimmertemperatur, in der
kühleren Zeit muß leicht geheizt werden. Ihre Verträglichkeit ist gut. Bei
richtiger Pflege können Blindschleichen in der Obhut des Menschen ein hohes
Alter erreichen. (Es sind Tiere im Terrarium schon 40 Jahre alt geworden.) Sie
bringen ihrer Umwelt große Aufmerksamkeit entgegen, und so furchtsam sie in der
Natur auch sind, so schnell werden sie im Terrarium zutraulich. Sie fressen
ihrem Pfleger bald das dargereichte Futter (Nacktschnecken, Heimchen,
Regenwürmer, Mehlwürmer) von der Pinzette oder gar aus der Hand. Aus all diesen
Gründen haben die Blindschleichen viele Liebhaber gewonnen.
Beim Scheltopusik (Ophisaurus apodus)
haben sich die Füße bis auf einen
Rest der Hinterbeine zurückgebildet. Sie sind neben der Kloakenöffnung
angeordnet. Das Schuppenkleid ist bei ausgewachsenen Tieren von gelbbrauner bis
rotbrauner Farbe, die Unterseite ist gelblich. Die Jungtiere sind hellgrau mit
braunen Querstreifen. Die Schuppen sind rautenförmig angeordnet und mit
Knochenplättchen unterlegt. Daher der zweite Name Panzerschleiche. Beim
Anfassen fällt einem sofort auf, wie hart das Tier im Gegensatz zur
Blindschleiche ist. Eine tiefe Längsfurche läuft entlang beider Körperseiten.
Wir haben es hier mit der am größten werdenden Schleiche zu tun, die eine Länge
von 140 cm erreichen kann. Der Scheltopusik hat die arttypischen breiten Zähne
und zermalmt damit seine Beutetiere. Seine Nahrung richtet sich nach seinem
jeweiligen Lebensraum, ob Feucht- oder Trockengebiet. Er frißt Weichtiere,
Mäuse, Kerbtiere, Heuschrecken, Gehäuseschnecken, seltener kleine Vögel und
deren Eier. Der größte Teil seiner Nahrung besteht also aus Schadinsekten, und
er ist deshalb sehr nützlich. Seine Aktivitätszeit ist über den ganzen Tag
verteilt. An seine Beute pirscht er sich in kurzen Etappen heran, wobei er sich
zwischendurch immer wieder minutenlang bewegungslos verhält, bis er nahe genug
herangekommen ist, um sie schnell von oben ergreifen zu können. Weil er oft
sehr lange ohne Bewegung herumliegt, macht er manchmal einen stumpfsinnigen
Eindruck. Die Häutung erfolgt ungefähr alle zwei Monate, die Haut wird zusammengeschoben
und als Wulst abgestoßen. Das Weibchen legt 6-10 Eier.
Das
Verbreitungsgebiet ist die jugoslawische und albanische Adriaküste,
Griechenland, die Balkanhalbinsel, Kleinasien, Syrien, Iran, Irak, Transkaspien
und Turkestan.
Freilandhaltung ist
nur in der wirklich warmen Jahreszeit möglich. Das Zimmerterrarium muß warm und
trocken sein, zwischen 25-3O°C. Nachts kann man die Heizung abschalten. Den
Behälter sollte man ab und zu einsprühen, hauptsächlich während der Häutung.
Beim Trinken ist das Tier genügsam, eine kleine Wasserschale genügt. Als
Bodengrund verwenden wir feinen Sand mit Laub gemischt. Für
Unterschlupfmöglichkeiten in Form von Steinen, Rinde und Wurzeln muß ebenfalls
gesorgt werden. Wir füttern Heuschrecken, Regenwürmer, Mehlwürmer, kleine
Schnecken, junge Mäuse. Mageres rohes Fleisch und Fisch in Streifen geschnitten
werden auch gerne genommen. Die Verträglichkeit mit ungefähr gleich großen
Tieren ist gut. Eine Überwinterung ist anzuraten.